Donnerstag, 11. Oktober 2012

Der Sündenfall mal anders. Oder: wie ein Bildhauer im 12. Jahrhundert ein Bildthema neu erfindet.

 
Eva, Portalbalken Autun, 12. Jhd. Foto via http://ilpalazzodisichelgaita.wordpress.com.

Bildmotive etablieren sich meist im Laufe der Zeit, es bilden sich Konventionen der Darstellung heraus. Im Falle des Sündefalls geht der mittelalterfeste  Kunstgeschichtler im Allgemeinen von einer braven Reihung aus: Adam links, dann der Baum inklusive Schlange und rechts Eva mit dem Apfel in der Hand. Oft ergeben sich komplexe Gestikulationen, wie dies im Fall einer solchen Dreiecksgeschichte unumgänglich ist: die Schlange will Eva verführen, Eva will Adam verführen, Adam will nicht unbedingt verführt werden.
Umso ungewöhnlicher die Darstellung des Themas in Autun, Frankreich. Dort ist ein Fragment des Portals erhalten, dass der Bildhauer Gislebertus im 12. Jahrhundert anfertigte. Auf einmalige Art und Weise verführt Eva ihren Göttergatten hier nicht nur mithilfe von Wort und leckerer Frucht (Liebe geht ja bekanntlich auch durch den Magen). Vielmehr setzt sie hier auf die weiblichen Reize.

Dem Format des Portalbalkens gerecht werdend zeigt Gislebertus seine Eva liegend. Sie nimmt quasi Haltung und Position der Schlange ein. Dabei dreht sie den Oberkörper so, dass man nicht umhin kommt ihre  - seien wir ehrlich – extrem nach Silikon-Implantaten aussehenden Brüste zu betrachten. Rein zufällig wächst ein Strauch vor anderen markanten Stellen, wer weiß, was sich dem Betrachter sonst noch so offenbaren würde.
Durch die Art und Weise der Darstellung ergibt sich gleichzeitig eine Bedeutungsverschiebung: nichts weist mehr darauf hin, dass auch Eva nur Opfer einer Intrige ist. Die Hand am Mund, ein Redegestus, unterstreicht ihre Rolle als Verführerin und „Einflüsterin“.
Die Frau wars also mal wieder wunderbar. Aber zum Glück erschöpft sich die Botschaft dann doch nicht in dieser Platitüde. Vielmehr geht es Gislebertus darum die Verfühungskraft des weiblichen Körpers darzustellen und gleichzeitig sein bildhauerisches Können vorzuführen. Da darf Frau sich dann schon fast wieder ein wenig geschmeichelt fühlen.
So eingängig und rätselhaft zugleich die Darstellung aufgrund der deutlichen Sexualisierung auch für uns heute noch ist (man stelle sich nur einmal den mittelalterlichen Gläubigen vor – ob ihn die Darstellung nicht total aus dem Konzept gebracht hat? Wie soll man sich den da nach dem Betreten der Kirche auf Gebet und reine Gedanken konzentrieren? – so singulär blieb sie.
Zur Eva gab es übrigens vermutlich auch einen Adam als Gegenstück. Wie der aber dargestellt war – vermutlich ebenfalls liegend?), darüber kann die Forschung nur rätseln.

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